Norbert und seine Familie

Jil* kam zu einem Vor­trag von mir in einer ande­ren Stadt, zusam­men mit ihrem neu­en Part­ner, Nor­bert*. Wir hat­ten uns seit Jah­ren nicht mehr gese­hen und gehört. Dass sie sich vom Vater ihrer bei­den Kin­der getrennt hat­te, wuss­te ich jedoch. Sie erzähl­te, dass Nor­bert bald mit sei­ner Fami­lie bei ihr ein­zie­hen wür­de und ich stutz­te: auch mit der Mut­ter sei­ner zwei Kin­der? Nein, lach­te Jil, er mit sei­nen bei­den Kin­dern! Schön, dach­te ich mir im Stil­len, ein erfri­schend jet­zi­ger Familienbegriff!

»Töchter«, ein Roman von Lucy Fricke

Rasan­te, road­mo­vie­ar­ti­ge Erzäh­lung von zwei Freun­din­nen, Bet­ty und Mar­tha. Bet­ty hat­te in ihrem Leben schon vie­le Väter, von denen einer Ihr nur wirk­lich Vater war. Des­sen Grab hat sie sich ent­schlos­sen nun end­lich ein­mal auf­zu­su­chen. Mar­tha hat nur die­sen einen Vater, der über­wie­gend absent war und jetzt im End­sta­di­um sei­nes Lebens einen hane­bü­che­nen Wunsch, eher eine For­de­rung an sie rich­tet. Bet­ty und Mar­tha haben zu Beginn des Buchs guten Grund, sich auf eine Rei­se zu machen, auf der ich sie als Lese­rin gern beglei­tet habe. Ich habe oft gelacht und war auch immer wie­der berührt.

Arturs Freundin

Im Admi­rals­pa­last tippt vor Vor­stel­lungs­be­ginn in der Rei­he vor mir eine Mit­te­zwan­zig­jäh­ri­ge eine Nach­richt. Sie stutzt und unter­bricht. Sie fragt ihren Neben­mann: »Wenn Artur jetzt ne Freun­din hat, dann ist das doch mei­ne Schwä­ge­rin, oder?« Ach­sel­zu­cken. Sie tippt weiter.

Glutsbrüder

Gluts­brü­der titelt die Welt am Sonn­tag zum The­ma Gril­len und männ­li­che Ein­tracht. Die Wort­schöp­fun­gen Seri­en­gril­ler (rechts) und Darth Wen­der (links) fin­de ich lus­tig. Wer das getex­tet hat, darf gern mal bei mir vor­stel­lig werden!

Gezwister

Gezwis­ter als Wort­schöp­fung auf die­sem Spie­gel­ti­tel … ich füh­le mich dar­in bestä­tigt, der­art aus­sa­ge­kräf­ti­ge neue Begrif­fe in die Welt zu brin­gen und zu locken.

am meisten Mutter

Mei­ne über 80jährige Freun­din A. erzähl­te mir kürz­lich: »Mei­ne Schwie­ger­mut­ter war für mich am meis­ten Mut­ter. Und ich hat­te eini­ge. Mei­ne leib­li­che starb, als ich 1 war, die zwei­te, als ich 7 war. Die war sehr lie­be­voll. Die nächs­te war ein Biest, die uns Kin­der miss­han­delt und hat hun­gern las­sen. Die 4. und 5. Frau mei­nes Vaters habe ich als Erwach­se­ne erlebt und emp­fand gro­ße Distanz. Den­noch bestand mein Vater dar­auf, dass ich sie Mut­ti nann­te. Mei­ne Schwie­ger­mut­ter war so gütig und warm­her­zig, ich fühl­te mich bei ihr so gebor­gen wie noch nie.«

Mami ngorok

Das fabel­haf­te »Hand­wör­ter­buch des deut­schen Aber­glau­bens« führt Fol­gen­des auf: »Bei den aus­tra­li­schen Kur­nai ist der Hoch­gott nur unter dem Namen »Mun­gan ngaua« = »Unser Vater« bekannt; Gott Bunil führt die­sen Titel als Bei­na­men (Mami ngor­ok = unser Vater«)«

keene Halbwaise

Am Nach­bar­tisch fing ich beim Ver­las­sen des Restau­rants Gesprächs­fet­zen auf. Offen­bar ging es um jeman­den im Alter derer, die da saßen, die kürz­lich ihren Vater ver­lo­ren hat­te: »… ne 57jährje is doch kee­ne Halb­wai­se meah!« (empör­ter Unterton)

die angeheiratete Großmutter und die dritte Frau ihres ersten Vaters

Mar­git* lern­te ich auf Aman­das* Par­ty ken­nen. Mar­git ist mit dem Vater von Aman­das Ex-Mann Tho­mas* ver­hei­ra­tet. Mar­git spricht von Tho­mas als ange­hei­ra­te­ter Sohn – im Scherz, wie sie sagt. Über­haupt fän­de sie herr­lich, wie ihr so spät im Leben so viel Fami­lie zufiel, »ohne den Fin­ger krüm­men zu müs­sen«, wie sie mit fei­nem Lächeln sagt. Die »Kin­der mei­nes Man­nes« sind ihr offi­zi­el­ler Ter­mi­nus. Die­sen habe mal jemand in ihrem Yoga­kurs ver­wen­det. Er habe ihr ein­ge­leuch­tet. »Stief­kind« hät­te sie vor­her schon schreck­lich gefun­den und ungern benutzt. 

Eine ange­hei­ra­te­te Enke­lin, Man­ja*, habe zunächst gemut­maßt, Mar­git wol­le die ver­stor­be­ne Groß­mutter erset­zen. Damals war Man­ja 14. Es habe eine Wei­le gebraucht, bis sie ihr eige­nes, sehr herz­li­ches, freund­in­schaft­li­ches Ver­hält­nis ent­wi­ckel­ten, als Man­ja ver­stand, dass Mar­git kei­ner­lei Ansprü­che oder Erwar­tun­gen hegte. 

Mar­git fin­det, sie habe eh viel Glück gehabt und über­rasch­te mich damit, wie es wei­ter­ging. Ihre Eltern hät­ten sich ja schei­den las­sen, damals noch mit zu beant­wor­ten­der Schuld­fra­ge. Ihre Mut­ter war schuld und Mar­git und ihre Schwes­ter kamen zum Vater. Ihr »ers­ter Vater«, wie sie spä­ter im Gespräch sagt, da ihre Mut­ter noch zwei wei­te­re Male gehei­ra­tet habe. Wie­der spä­ter erwähnt Mar­git die »drit­te Frau mei­nes ers­ten Vaters«. Das war der Moment, wo ich ihr sag­te, dass mein Gehirn lang­sam über­läuft und ich das jetzt alles notie­ren müsse.

Bei der Ver­ab­schie­dung bedank­te ich mich bei ihr und sag­te, die Gast­ge­be­ris soll­ten sie der­mal­einst zur Lesung aus mei­nem Buch mit­brin­gen. »Mach zu.«, sagt Mar­git und blitzt mich von unten her­auf schalk­haft an, »Ich bin 86. Ich hab nicht mehr so viel Zeit.«